Im Herbst 2018 war ich im Rahmen meines Studiums der Ayurveda-Medizin als Praktikantin im Patel Ayurveda Hospital in Nadiad, Gujarat/Indien. Davor und danach war ich in zwei weiteren Ayurveda-Kliniken.
Ich habe in der Zeit unglaublich viel gelernt und bin unendlich dankbar für die Erfahrungen, die ich dort machen durfte. Auch wenn es meine sechste Reise in Indien war, war es dieses Mal besonders interessant, das indische Leben im Mikrokosmos eines ayurvedischen Krankenhauses zu beobachten.
In den ersten Tagen haben wir, eine Kollegin aus der Schweiz und ich, mit einem der Oberärzte viele Neu-PatientInnen aufgenommen und konnten mit Dr. Manish zusammen die Erstanamnese durchführen. Dafür wurde ein ausführlicher Fragebogen ausgearbeitet. Wir haben zusammen alles bis ins kleinste Detail, insbesondere Therapie-Strategie und Therapieplan besprochen. Danach waren wir bereit für die tagtägliche Begleitung der Neu-Patienten.
Ca. 20 PatientInnen haben wir jeden Tag bei der Morgen-Visite betreut. Es waren unter anderem acht Patienten aus Europa, die für unsere Übersetzungen dankbar waren.
Die meisten stationären PatientInnen werden in Mehrbettzimmer untergebracht (General Ward, hier Frauen-Mehrbettzimmer mit ca. 40 Patientinnen). Sie zahlen eine geringe Gebühr für Unterkunft, Vollpension und medizinische Beratung, die die Realkosten des Krankenhauses nicht einmal decken. Die wenigen PatientInnen (darunter acht Europäer), die in privaten Zimmern untergebracht sind, zahlen deutlich höhere Gebühren und ermöglichen den Erhalt des Krankenhausbetriebes. Alle PatientInnen zahlen zusätzlich die Medikamente und Spezial-Behandlungen (Massagen und Ausleitungsverfahren), die im Rahmen des Therapieplanes verabreicht werden, bzw. durchgeführt werden.
Faszinierend zu beobachten war, wie ruhig und entspannt die PatientInnen fast den ganzen Tag und die ganze Nacht in diesem großen Saal verbracht haben. Kein Lärm, kein Unterhaltungsprogramm, keine Aufregung. Das große Highlight des Tages war die Morgen-Visite mit einer Schar von weißen Kitteln (Chefarzt, Oberärzte, Post-Graduate Studenten, Pflege-Personal…).
Auf dem Bild sieht man Dr. Manish, der uns zwei Praktikantinnen genau zeigt, wie man den Puls nach ayurvedischen Kriterien testet. Mit ihm haben wir jeden Tag an unzähligen Patienten geübt und die Test-Ergebnisse besprochen.
Allerdings betonte Dr. Manish, dass der Puls eine Momentaufnahme sei, die kein großes Gewicht in der Diagnostik hat. Es sei ein kleiner Indikator, mehr nicht. Trotzdem war es spannend innerhalb von drei Wochen bei vielen Patienten Veränderungen zu beobachten.
Auch interessant zu sehen war, wie Tag für Tag das Wohlbefinden und die Beschwerden der PatientInnen neu aufgenommen worden sind und anhand zahlreicher Parameter, die Therapie fein adjustiert worden ist, insbesondere die medikamentöse Verordnung. Daraus ergab sich, dass nicht strikt nach Protokoll therapiert wurde, sondern nach ganzheitlichen, ayurvedischen Kriterien.
Die Kernkompetenz des Krankenhauses ist die Panchakarma-Kur, eine tiefgründige Reinigungskur. Schwerpunkte sind u.a. die Behandlung von chronischer Niereninsuffizienz, Leberzirrhose, rheumatoider Arthritis, Unfruchtbarkeit, Erkrankungen des Nervensystems wie Multiple Sklerose und Parkinson, Colitis Ulcerosa (entzündliche Darmerkrankungen) und Psoriasis (Schuppenflechte). Vielen PatientInnen wird bei einer ambulanten Konsultation vom Arzt nahegelegt, vier Wochen im Krankenhaus für eine tiefgründige Reinigungskur zu bleiben, um chronisches Leiden an der Wurzel zu packen. Die PatientInnen, die aufgenommen werden, müssen eine Begleitperson mitbringen, die sie bei Bedarf betreuen kann. Die Begleitpersonen werden in der Regel auf einer Terrasse im Freien untergebracht!
Auf dem Bild in der Pancakarma-Abteilung, wo spezielle Ausleitungsverfahren (u.a. Abführen, Einläufe und verschiedene Ölanwendungen) angewandt werden, sieht man das Setting für das therapeutische Erbrechen. Die Psoriasis-Patientin wurde zwei Wochen lang mit bestimmten Maßnahmen auf diese spezielle Ausleitung vorbereitet. Ihr Hautbild hat sich in den Tagen nach der Ausleitung sehr stark verbessert.
Der Campus verfügt über ein eigenes pharmazeutisches Labor und stellt für den Eigenbedarf fast alle ayurvedischen Präparate selbst her. Mehrere Führungen durch den botanischen Garten und durch die botanische Ausstellung in der Pharmazie wurden für uns organisiert. Darüber hinaus konnten wir über mehrere Tage den Herstellungsprozess von Cyanvanprash (klassisches rasayana zur Regeneration), narayana Öl (klassisches Muskel- und Gelenköl) und vielen anderen Rezepturen beobachten.
Das Krankenhaus wird von einer karitativen, nicht profitorientierten Organisation (NGO) geleitet. Die meisten PatientInnen kommen aus einkommensschwachen Bevölkerungsgruppen oder aus der Mittelschicht. Auch einige wenige Europäer mit schwerwiegenden Erkrankungen lassen sich dort behandeln (Morbus Parkinson, Multiple Sklerose, Rheumatoider Arthritis). Das Krankenhaus hat eine Kapazität von 150 Betten. Außerdem gibt es eine Ambulanz in vielen Fachrichtungen (Innere Medizin, Gynäkologie, Pädiatrie…). Da werden u.a. Beschwerden wie Rückenschmerzen, Arthrose, Kopfschmerzen, Bluthochdruck, Diabetes, Asthma, Koronare Herzerkrankung, Schlafstörungen behandelt.
Auf dem Bild sieht man im blauen Gebäude den Bereich, wo u.a. die europäischen PatientInnen (zu der Zeit aus Deutschland, Österreich, Russland und Litauen) untergebracht sind. Davor ist die einzige grüne Fläche des Campus, wo sich die Patienten ein wenig bewegen können. Ihnen ist es ausdrücklich verboten den Campus zu verlassen. Man möchte dadurch vermeiden, dass sie Lebensmittel oder Getränke holen, die für die Behandlung kontraproduktiv wären.
Den PatientInnen werden strikte Diätempfehlungen verordnet, die Bestandteil der Therapie sind. Je nach Erkrankung und Konstitution werden im stationären Bereich leichte Fasten-Speisen (Pancakarma Kost) oder strenge Reduktionskost serviert. Auf dem Bild sieht man, wie sich alles in Indien auf dem Boden abspielt, auch in der Großküche.
Ambulanten Patienten wird auch oft empfohlen, keine kalte und trockene Nahrung, nichts Saures und Scharfes, nichts frittiertes und keine falschen Kombinationen (z.B. Obst mit Milchprodukten) zu sich zu nehmen. Das ist für die meisten eine große Herausforderung, weil die traditionelle indische Küche besonders geschmackintensiv ist. Aber wenn sich die Patienten nicht an die Empfehlungen halten, wird ihnen gedroht, die Behandlung abzubrechen.
Hier sind wir in der gynäkologischen Ambulanz mit Dr. Shaikh… Dieser Bereich war besonders spannend…
Es gäbe noch so viel zu erzählen…
Wenn Sie gern auf dem Laufenden gehalten werden möchten, können Sie meinen Newsletter abonnieren.